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Mossul: Die Zukunft im Blick haben!

Ohne Unterstützung geht nichts. Das gaben mir meine Gesprächspartner aus der nordirakischen Regierung mit auf den Weg, bevor ich mich am Dienstag, den 1. November, wieder auf die Heimreise aus der Region machte. Schon jetzt habe der Nordirak eine halbe Million Geflüchtete aus Syrien sowie über eine Million Binnenflüchtlinge in Lagern untergebracht. Seit Beginn der militärischen Befreiung Mossuls am 17. Oktober sind ca. 17.500 Personen vertrieben worden. Mit den bestehenden Kapazitäten können derzeit 60.000 Flüchtlinge versorgt werden.

Sollten die derzeitigen Operationen zu einer Massenflucht führen, werde sich die kurdische Regierung auch für einen weiteren Schutz der Menschen engagieren, erklärten mir kurdische Repräsentanten. Angesichts der wirtschaftlichen Krise sei jedoch klar, dass für weitere Hilfe das Geld fehlt. Schon jetzt werden, abgesehen von den Ausgaben für Sicherheitsmaßnahmen, praktisch alle Kosten – Unterkunft, Nahrung, medizinische Versorgung oder die Betreuung die Kindern – von internationalen Geldgebern getragen.

Vier Tage lang hielt ich mich im Nordirak auf, traf Repräsentanten der Regierung, des UN-Flüchtlingswerkes UNHCR , der EU-Organisation für Zivilschutz und Humanitäre Hilfe (ECHO) sowie von NGOs. Zu den eindrucksvollsten Erlebnissen zählte ein Besuch im Flüchtlingslager Dibaga, das sich nahe des vom so genannten Islamsichen Staat kontrollierten Gebiet befindet. Dort berichteten mir junge Menschen, wie sie von den Milizen des IS terrorisiert wurden. Ein 18-Jähriger beschrieb, wie er mit ansehen musste, wie sein 12-jähriger Bruder bei der Flucht auf ein Mine getreten sei. Seine Versuche, rechtzeitig Hilfe zu holen, waren vergeblich. Der Bruder verstarb auf dem Weg zur Ambulanz.

Menschenrechtsorganisationen berichteten, dass viele Flüchtlinge und Vertriebene bei Sicherheitsüberprüfungen misshandelt worden seien. Arabische Sunniten, die unter dem IS gelebt haben, werden verdächtigt, die Terrormiliz unterstützt zu haben. Diya Butros, der Präsident der Unabhängigen Menschenrechtskommission der Region Kurdistan im Irak, konnte im Gespräch mit mir diesen Verdacht durchaus nachvollziehen. Dennoch warnte er vor Übergriffen. Vertreter der kurdischen Regierung bestätigten, dass bei Binnenflüchtlinge ab dem Alter von 15 Jahren solche Prüfungen durchgeführt würden. Diese würden aber internationalen Standards entsprechen.

Kurdische Sicherheitskräfte haben seit der Eroberung Mossuls durch den IS vor mehr als zwei Jahren mehr als 9000 Menschen als Terrorverdächtige verhaftet. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle erwies sich der Verdacht jedoch als unbegründet. Etwa 150 Personen wurden nach dem Antiterror-Gesetz verurteilt, weitere 300 stehen unter Anklage.

Für viele meiner Gesprächspartner war von zentraler Bedeutung, wie es nach einer Befreiung Mossuls weitergehen wird. Kurdische Politiker äußerten sich besorgt darüber, dass die irakische Regierung offensichtlich kein Konzept für die Administration der Stadt habe. Das unabhängige Forschungsinstitut Middle East Research Institute (www.meri-k.org) in Erbil hatte bereits einige Wochen vor Beginn der Militäroffensive einen Bericht mit Empfehlungen zur Zukunft von Mossul verfasst und einen Plan für die Zeit nach der Befreiung gefordert.

Im Gespräch erklärten mir die Mitarbeiter allerdings, dass die Verantwortlichen in Bagdad möglicherweise bewusst auf solche Debatten innerhalb der militärischen Allianz verzichtet hätten. Denn damit könnten politische Konflikte aufleben, die man in der jetzigen Situation vermeiden wolle. Tatsächlich ist anzunehmen, dass die kurdische Führung nach einem Sieg über den IS mit der irakischen Regierung die Schaffung eines kurdischen Staates verhandeln will. MERI rechnet damit, dass die Chancen für das Einverständnis in Bagdad sowie den Nachbarstaaten Türkei und Iran im Bereich des Möglichen liegen.

Es ist offensichtlich, dass vertrauensbildende Maßnahmen, Versöhnung und die Aufarbeitung der Verbrechen in der Provinz Mossul eine wichtige Rolle spielen müssen, um eine friedliche Zukunft zu ermöglichen. Der Irak muss die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft ziehen.

Für eine Ahndung dieser Taten durch den Internationalen Strafgerichtshof wird es auf absehbare Zeit keine ausreichende politische Mehrheit im Irak geben. Das darf aber kein Hinderungsgrund sein, langfristig an diesem Ziel festzuhalten. Gerade in Hinblick auf eine Aussöhnung und die Aufarbeitung der Verbrechen sollte die EU als aufrichtiger Vermittler eine wichtige Rolle einnehmen und sich von keinem politischen Lager vereinnahmen lassen.

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