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Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau: "Mangel an Menschenwürde"

Wie geht die EU mit Geflüchteten um? Was bewirkt das Abkommen mit der Türkei? Ein Blick in die Lager auf den griechischen Inseln. Der Gastbeitrag von Barbara Lochbihler am 18.11.2017

Die Ansammlung von UNHCR-Zelten und Menschen, die auf Feuern Wasser erhitzen, um sich waschen zu können, erinnert an Flüchtlingscamps irgendwo auf der Welt, nur nicht in Europa. Wenn man diese Zelte passiert, erreicht man das eigentliche Camp Moria, in dem Flüchtlinge auf der Insel Lesbos zur Registrierung untergebracht sind.

Auch das Camp entspricht nicht europäischen Standards. Statt 2000 Menschen, für die die Anlage geeignet wäre, leben hier derzeit weit über 6000. Ein Viertel haust in nicht beheizbaren Zelten zwischen Containerreihen oder außerhalb des hoch umzäunten Lagers. Seit Oktober kommen wieder vermehrt Flüchtlinge an, vor allem aus Syrien, Irak und Afghanistan, viele mit Kindern im Vorschulalter.

Zur Zeit mangelt es an allem, auch an Menschenwürde: Drei Stunden lang muss man sich täglich anstellen, um Essen zu bekommen; Frauen, die nachts nicht sicher auf die viel zu wenigen Toiletten kommen, hat man Windeln für Erwachsene gegeben. Krankheiten verschlimmern sich während der langen Wartezeit auf die Eingangsuntersuchung. Es gibt viele schreckliche Geschichten, die Flüchtlinge, NGO-Mitarbeiter und Freiwillige erzählen können. Von zwei renommierten Hilfsorganisationen höre ich, ihre Leute seien hier häufiger von Burn-out betroffen als bei Katastropheneinsätzen.

Solidarische Inselbewohner

Woran liegt das? Daran, dass dieses Elend vermeidbar ist, politisch verursacht und indirekt politisch gewollt. Nicht wenige sitzen hier seit 18 Monaten fest. Die Anspannung ist hoch. Zum Stress durch die akute Überfüllung kommt der Stress, den die Undurchsichtigkeit der Verfahren verursacht, die Ungewissheit und die Angst, in die Türkei abgeschoben zu werden.

Viele der Missstände kann man dem schlechten Management auf der griechischen Seite anlasten. Aber die Tatsache, dass die Menschen hier so lange festsitzen, ist die direkte Folge der EU-Türkei-Vereinbarung und der Weigerung vieler EU-Mitgliedstaaten, die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz zu teilen.

Auf dem Festland könnte man die Flüchtlinge wesentlich besser unterbringen. Aber selbst dahin will man sie nicht lassen. Das sende ein falsches Signal in die Herkunftsländer, sagte der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, bei seinem Griechenlandbesuch Ende Oktober. Entlastung für die Inseln soll es nur Richtung Türkei geben.

Dahinter steht die Drohung, Griechenland aus dem Schengenraum auszuschließen, sollten wieder mehr Flüchtlinge von dort aus weiterwandern. So könnten die Ägäis zur geografischen Barriere und die griechischen Inseln zu Aufbewahrungsorten für Flüchtlinge werden, die sich der Rest Europas vom Leib halten will. Das befürchten nicht nur die Inselbewohner, von denen viele immer noch große Solidarität mit den Gestrandeten zeigen.

Ist die Türkei ein sicheres Land?

Voraussetzung für die Umsetzung der EU-Türkei-Vereinbarung ist die Einschätzung der Türkei als sicherer Drittstaat. Abgesehen von den völkerrechtlichen Bedenken gegen dieses Abkommen steht groß die Frage im Raum: Ist die Türkei des Jahres 2017 ein sicheres Land?

Unlängst hat das oberste griechische Gericht die Klage zweier syrischer Flüchtlinge gegen ihre Abschiebung in die Türkei abgewiesen. Diese Entscheidung war bei den beteiligten Richtern sehr umstritten. Der Vizepräsident des Gerichts stellte die Grundlagen des Urteils mit sehr klaren Worten infrage: Diplomatische Zusicherungen der türkischen Behörden seien nicht vertrauenswürdig und kritische Lageberichte nicht berücksichtigt worden. Letztlich wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über den Bestand dieser Politik entscheiden.

Von den Inseln aufs Festland lässt man bis dahin nur Asylsuchende, denen eine besondere Verletzlichkeit bescheinigt wird, etwa Traumatisierungen durch Folter, Vergewaltigung oder Kriegserlebnisse. Viele von ihnen fallen aber durch die Raster des Feststellungsverfahrens in den Hotspots.

Besonders in der Kritik steht das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO). Seit Inkrafttreten der EU-Türkei-Vereinbarung im März 2016 werden Flüchtlinge nach der ersten Registrierung einer Befragung unterzogen, in der es ausschließlich darum geht, ob sie in die Türkei zurückgeschickt werden können. Nur wenn sie belegen können, dass die Türkei für sie nicht sicher ist, können sie in Griechenland einen Asylantrag stellen. Die Befragungen führt das EASO durch und gibt eine Empfehlung ab, der die zuständige griechische Behörde mit ihren Bescheiden regelmäßig folgt.

Anwälte werfen dem EASO vor, seine Befragungen seien nicht geeignet, besondere Verletzlichkeit festzustellen, sie seien unfair und nicht dem geforderten Standard entsprechend. Die europäische Bürgerbeauftragte hat im Juni eine Beschwerde gegen EASO angenommen und prüft nun administratives Fehlverhalten.

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