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Frauenrechte: Menschenrechte sind unteilbar

Frauenrechte sind Menschenrechte. So stellte es die 4. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 klar. Zwei Jahre vorher bekräftigte die Abschlusserklärung der 2. UN-Weltmenschenkonferenz in Wien, dass „Menschenrechte von Frauen und Mädchen ein unveräußerlicher, integraler und unteilbarer Bestandteil der universellen Menschenrechte“ seien. Doch der wichtigste Schritt der Vereinten Nationen, diesen Rechten Geltung zu verschaffen, war das bereits 1979 beschlossene UN-Übereinkommen CEDAW, das sich gegen jede Form der Diskriminierung von Frauen wendet. 30 Jahre vorher wurde in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung 1948 verankert, dass alle Menschen „gleich an Würde und Rechten geboren“ seien.

An deutlichen Worten mangelt es also nicht. Natürlich sind alle Menschenrechtsabkommen Zielvorgaben; sie orientieren auf Verhältnisse, von denen wir weit entfernt sind. Wir wissen, der Weg zu diesem Ziel ist für die weibliche Bevölkerung besonders steinig. Schon in der Trennung zwischen Frauen- und Menschenrechten wird deutlich, dass Frauen und Mädchen auf doppelte Weise in ihren fundamentalen Rechten verletzt werden. Viele leiden sowohl unter der Versagung vermeintlich geschlechtsneutraler als auch frauenspezifischer Menschenrechte: Fast überall werden sie auf der Flucht vor Krieg oder Armut, im täglichen Kampf ums tägliche Brot oder im Ringen um eine menschenwürdiger Unterkunft stärker diskriminiert als ihr geschlechtliches Gegenüber. Im Einsatz für ihr Recht auf Nahrung, Wohnung oder Bildung werden sie zugleich Opfer einer patriarchalen Gewalt, die ihr Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt.

Die Zahlen: Etwa 70 Prozent der 870 Millionen weltweit Hungernden sind Frauen. Von den weltweit 61 Millionen Kindern, die keine Grundschule besuchen, ist die Mehrheit weiblich. Etwa 39 Millionen Mädchen zwischen 15 und 19 Jahre gehen nicht zur Schule. Mindestens 50 Prozent aller Flüchtlinge sind Frauen. In den Flüchtlingslagern werden sie häufig benachteiligt, weil sie sich mit Kindern gegen alleinstehende Männer durchsetzen müssen. Viele von ihnen mussten fliehen, weil ihnen Vergewaltigungen drohten oder sie zur Heirat, Prostitution, Abtreibung, Sterilisation oder Genitalverstümmelung (FGM) gezwungen wurden.

Einige UN-Abkommen verurteilen explizit diese Verbrechen. So gelten Zwangsprostitution, Genitalverstümmelung oder Frauenhandel als schwere Menschenrechtsverletzungen und haben in den über vier Jahren, in denen ich im Menschenrechtsausschuss des Europäischen Parlaments tätig bin, immer wieder eine wichtige Rolle gespielt.

Die Berichte und Analysen, die ich in dieser Zeit von Betroffenen und Expertinnen sowie Experten hörte, machten klar: Wir stehen erst am Anfang eines langen Kampfes. Auch bei den sicherheitspolitischen UN-Resolutionen, die in der Folge von CEDAW verabschiedet wurden und sich mit der Situation von Frauen in bewaffneten Konflikten beschäftigen, mangelt es an der Umsetzung. Frauen sind noch immer nicht, wie es die Resolution 1325 vorsieht, adäquat in Friedensgesprächen präsent. Und weiterhin sind sie, etwa in der Demokratischen Republik Kongo, ständig geschlechtsbezogener und sexualisierter Gewalt ausgesetzt.

Häufig überschneiden sich Gewalt-und andere Machtverhältnisse, wie das bereits erwähnte Beispiel der niedrigen Schulbildung von Frauen und Mädchen zeigt. In Ländern wie Äthiopien oder Mosambik schließen 40 Prozent aller weiblichen Jugendlichen gehobener gesellschaftlicher Gruppen die Sekundarstufe ab, während dies` nur etwa ein Prozent ihrer Altersgenossinnen aus den armen Schichten erreichen. Häufig können sich die Eltern Schulgebühren, Uniform und Lehrmaterial nicht leisten; viele Mädchen gehen  nebenbei arbeiten und können sich deshalb nicht aufs Lernen konzentrieren. Zudem müssen viele von ihnen sexuelle Übergriffe von Seiten der Lehrer ertragen.

Neben traditionellen Aspekten führt dies dazu, dass Eltern in diesen Gesellschaften ihre Töchter extrem früh in eine Ehe zwingen: Sie wollen ihre Kinder vor solchen Angriffen  schützen. In Südostasien wird jedes zweite Mädchen vor seinem 18. Geburtstag verheiratet, in Lateinamerika sind es 29 Prozent, in Westafrika 27 Prozent. Auch in Europa heirateten 2012 elf Prozent der jungen Frauen, bevor sie erwachsen waren. Viele Minderjährige  – Expertinnen und Experten gehen von 25 bis 50 Prozent aus – gebären ihr erstes Kind, bevor sie ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Die frühen Geburten sind zugleich eine der hauptsächlichen Todesursachen für 15 – bis 18-Jährige. Darüber informierte uns die Kinderhilfsorganisation PLAN im März dieses Jahres auf einem gemeinsamen Hearing des Ausschusses für Frauenrechte und Geschlechtergleichstellung und des Menschenrechtsausschusses.

Es ist ein Teufelskreis, in dem nicht nur Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt wird. Die zwangsweise Verheiratung von Kindern führt häufig dazu, dass die Mädchen in der Ehe keine weiterführende Bildung genießen können. Das hat entsprechende Konsequenzen: Nach Angaben von PLAN versuchten 61 Prozent aller Kenianerinnen, die keine Schulausbildung absolviert haben, häusliche Gewalt zu rechtfertigen, während dies nur 21 Prozent der Frauen taten, die die Sekundärstufe abschlossen. Das UN-Programm „Education is first“ beschreibt die Kinderheirat als größtes Hindernis für die Bildung von Mädchen. Auch die EU-Kommission hat die Bedeutung des Problems erkannt: In der EU-Menschenrechtsstrategie, die 2012 verabschiedet wurde, hat der Kampf gegen die Verheiratung von Kindern und Jugendlichen Priorität. Nun kommt es darauf an, dafür zu sorgen, dass der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) diese Vorgaben auch ernsthaft umsetzt.

Auf meine Anfrage hin informierte mich im August dieses Jahres die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton über eine „Kampagne zur Förderung und Prävention von Früh- und Zwangsehen“, die der EAD in enger Abstimmung mit UNICEF erarbeite. Sie verwies in diesem Zusammenhang auch darauf, dass die EU ein von der Zivilgesellschaft getragenes Projekt finanziere, das zum „Umdenken und zur Beendigung von Genitalverstümmelung bei Frauen in Ägypten, Eritrea, Senegal und Sudan“ beitragen soll. Über den Fortschritt dieses Projektes lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts sagen, aber zweifellos zählt der Kampf gegen die Beschneidung von Mädchen zu den größten  Herausforderungen im Einsatz für frauenspezifische Menschenrechte. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation müssen derzeit 140 Millionen Frauen und Mädchen mit den Konsequenzen der Genitalverstümmelung (FGM) leben, etwa 500.000 sind es nach Schätzungen des Europaparlaments in Europa.

Bislang gibt es gegen dieses Menschenrechtsverbrechen noch kein einheitliches Vorgehen in der EU. Manche Länder sehen gesetzliche Maßnahmen vor, andere nicht. 2011 unterzeichnete der Europarates, der kein Gremium der EU ist, die Konvention gegen Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, da das Abkommen rechtsverbindlich. Die 47 am Europarat beteiligten Staaten verpflichten sich darin u.a. dazu, gegen Zwangsehen und Genitalverstümmelung vorzugehen, Opfer zu schützen und die Straflosigkeit der Täter zu beenden. Allerdings haben es bis heute noch nicht genügend Staaten ratifiziert.

In jenen afrikanischen Staaten, in denen die FGM alltäglich praktiziert wird, besteht das größte Problem allerdings darin, dass Beschneidungen mit der Tradition und – fälschlicherweise – mit gesundheitlichen Argumenten verteidigt werden. Deshalb lässt sich die FGM alleine mit Kriminalisierung nicht aus der Welt schaffen. Das kritische Bewusstsein hat sich jedoch mittlerweile durchgesetzt: Die UN-Generalversammlung hat im Dezember 2012 eine Resolution verabschiedet, die eine Eliminierung der Genitalverstümmelung einklagt. Einige Länder haben zudem große Fortschritte gemacht. So gehen kenianische Behörden seit Jahren gegen Eltern vor, die ihre Töchter der FGM preisgeben.

Auch beim zunächst geschlechtsneutral erscheinenden Menschenhandel haben wir es de facto mit einem Phänomen zu tun, dass im besonderen Maße die Menschenrechte der weiblichen Bevölkerung verletzt. Das bestätigt eine im April 2013 vorgestellte Studie der Europäischen Union, die zwischen 2008 und 2010 eine Zunahme des Menschenhandels in der EU von 18 Prozent feststellte. 68 Prozent der Opfer sind Frauen, 12 Prozent Mädchen, 17 Prozent Männer und 3 Prozent Jungen. Drei Viertel der Händler hingegen sind Männer. Zwei von drei Betroffenen werden sexuell ausgebeutet. Gemeint sind damit alle Formen der Prostitution und auch die Teilnahme an Porno-Filmen. Darüber hinaus werden viele Frauen zur Arbeit in Haushalten gezwungen. Insgesamt sind nach der Studie 23.632 Menschen in der EU Opfer des Menschenhandels geworden, wobei auch die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström einräumt, dass die Dunkelziffer wesentlich höher liegt. Viele der Betroffenen stammen aus Rumänien und Bulgarien.

Diese Zahlen sprechen nicht dafür, dass die EU erfolgreich gegen den kriminellen und frauenfeindlichen Handel vorgeht. Eine entsprechende Richtlinie der Europäischen Union von 2011 haben bisher nur fünf Mitgliedsstaaten vollständig umgesetzt. Deutschland ist nicht dabei, weil sich die schwarz-gelbe Koalition intern nicht einigen kann. Das dürfen wir nicht hinnehmen, denn das Gesetz greift wichtige Aspekte auf: die Rechte der Opfer sollen gestärkt, Prozesse gegen die Täter erleichtert, eine gemeinsame Definition des Tatbestands soll definiert werden. Seit 1. April ist zudem eine entsprechende Konvention des Europarats in Kraft getreten. Es ist der erste rechtsverbindliche Vertrag auf europäischer Ebene, der den Menschenhandel zur sexuellen und anderer Ausbeutung explizit in einen menschenrechtlichen Konsens stellt. Die Regierungen verpflichten sich dazu, die Opfer zu unterstützen – eine sinnvolle Maßnahme, schließlich haben die Staaten ein Schutzpflicht.

Wie so häufig bei sexualisierten Angriffen ist auch bei der Zwangsprostitution und anderen Bereichen des Menschenhandels ein zentrales Problem, dass die betroffenen Frauen keine Anzeige erstatten oder keine Aussage machen. Neben den notwendigen juristischen und polizeilichen Initiativen gilt es deshalb, die Europaratskonvention zu nutzen, um die  Lebensbedingungen der Opfer zu verbessern. Die Behörden müssen sicherstellen, dass die Frauen nicht kriminalisiert werden, sondern ihnen geholfen wird. Für Folgedelikte wie etwa den Besitz gefälschter Dokumente dürfen sie nicht belangt werden. Viele der meist ausländischen Opfer haben Angst vor einer Abschiebung und anderen Repressalien der Ausländerbehörden, häufig sind sie nicht über ihre Rechte informiert. Hier braucht es neben einer neu ausgerichteten Migrationspolitik gezielte Maßnahmen für jede einzelne Frau: gendergerechte Betreuung, psychosoziale Beratung, Begleitung in Strafverfahren.

Frauenhandel, Kinderheirat und Genitalverstümmelung sind Verbrechen, die wie Vergewaltigungen ganz direkt die körperliche Integrität von Frauen angreifen. Deshalb müssen wir sie im Einsatz für Frauenrechte besonders im Blick haben. Die Vereinten Nationen haben diese oft patriarchalen Verhältnissen geschuldeten Verbrechen unmissverständlich als schwere Menschenrechtsverletzungen definiert und geächtet. Der Europarat hat wichtige Schritte unternommen und auch die EU stellt sich den Problemen, wenn auch bislang vollkommen unzureichend. Für mich als Abgeordnete heißt das, jede institutionelle Möglichkeit zu nutzen, um den Opfern im Europäischen Parlament eine Stimme zu geben und bei den zuständigen Stellen der EU-Kommission nachzuhalten, damit sie ihrer Verantwortung gerecht werden. Vor allem aber braucht es eine aktive Zivilgesellschaft, die sich die institutionellen Vorgaben als Handwerkszeug zu eigen macht und die Verbrechen gemeinsam mit den Betroffenen öffentlich denunziert. Denn eines steht außer Frage: Hätten nicht Feministinnen dafür gekämpft, würde es das CEDAW-Abkommen gegen jede Diskriminierung von Frauen nicht gegeben. Und wahrscheinlich hätte damals dann auch keine Weltfrauenkonferenz in Peking klargestellt: Frauenrechte sind Menschenrechte.

 

 

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