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Blauer Himmel und düstere Wolken über Genf

Strahlend blau war der Himmel über Genf während meines Besuchs dort vom 13. bis 15. Februar. Der Sonnenschein konnte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in allen Gesprächen und Terminen um eher düstere Aussichten für den Menschenrechtsschutz ging, die sich auch im UN-Menschenrechtsrat bemerkbar machen. Ich sprach mit mehreren NGOs, mit dem EU-Botschafter, dem stellvertretenden deutschen Botschafter und mit der stellvertretenden UN-Hochkommissarin Kate Gilmore. Aus unterschiedlichen Perspektiven wurde berichtet, wie das Klima für den Menschenrechtsschutz rauher geworden ist, wie gekämpft werden muss Standards überhaupt zu erhalten statt daran zu arbeiten sie weiterzuentwickeln, und welche Steine der Zivilgesellschaft in den Weg gelegt werden, beteiligt und gehört zu werden.

Das Highlight meines Besuches war zweifellos die Verleihung des Martin-Ennals-Awards und das Gespräch mit dem Preisträger Abdul Aziz Muhamat. Mit diesem Preis - auch „Nobelpreis für Menschenrechte“ genannt - werden jedes Jahr in Genf Menschenrechtsverteidiger*innen für ihr herausragendes und oft mit hohem Risiko verbundenes Engagement geehrt. Ausgezeichnet wurde dieses Jahr Aziz, der mit großer Beharrlichkeit und viel Mut seit über fünf Jahren gegen die unmenschlichen Bedingungen in den Lagern auf der zu Papua-Neuguinea gehörenden Pazifikinsel Manus kämpft. Hier werden Hunderte von Flüchtlingen auf Betreiben der australischen Regierung festgehalten, ohne irgendeine Chance jemals Australien zu erreichen. In einem persönlichen Gespräch schilderte Aziz mir die Umstände seiner Flucht vor Verfolgung aus dem Sudan, den Versuch per Boot von Indonesien nach Australien zu gelangen, den Aufgriff durch die australische Küstenwache und die vom ersten Tag an zutiefst entwürdigende und rechtswidrige Behandlung – und dass er trotz allem zurück will nach Manus Island, um seine Mitbewohner im Lager nicht im Stich zu lassen und weiter mit ihnen dafür zu kämpfen, nicht vergessen zu werden. Die Auszeichnung von Abdul Aziz Muhamat sollte uns einmal mehr Mahnung sein, dass eine Flüchtlingspolitik, die auf Mauern, Abschottung, Auslagerung und Entrechtung setzt, keinerlei Probleme löst.

Verdient hätten den Preis ohne Zweifel auch die beiden anderen, ebenfalls geehrten Finalisten Eren Keskin aus der Türkei und Marino Cordoba Berrio aus Kolumbien. Die Menschenrechtsanwältin Eren Keskin, die nicht zur Preisverleihung ausreisen durfte, streitet seit Jahrzehnten für die Meinungsfreiheit insbesondere von Frauen, die sich gegen patriarchale Strukturen wehren und von Kurden. Sie muss dafür gerade wieder eine lange Haftstrafe fürchten. Marino Cordoba Berrios Engagement für die Rechte ethnischer Minderheiten in Kolumbien hat ihn selbst immer wieder in Lebensgefahr gebracht. Beeindruckende Videoporträts aller drei Finalisten gibt es auf der Webseite des Martin Ennals Award anzusehen.

Mit dem „skrinking space“ für zivilgesellschaftliches menschenrechtliches Engagement sind wir seit einigen Jahren in allen Weltregionen konfrontiert. In den Gesprächen mit NGOs in Genf wurde mir berichtet, wie sich dies inzwischen auch in den Akkreditierungsverfahren nicht nur für neue NGOs, sondern auch für solche Organisationen auswirkt, die teils seit Jahrzenten mit dem sogenannten „Konsultativstatus“ beim und im Menschenrechtsrat arbeiten. Der für die Akkreditierung (und deren Überprüfung alle vier Jahre) von NGOs zuständige Ausschuss in New York hat 19 für vier Jahre gewählte Mitglieder. Manche davon scheinen seit einiger Zeit mit administrativen und politischen Nachfragen und Auflagen solchen Sand in das Getriebe zu streuen, dass „Schikane“ die naheliegende Bezeichnung ist, vor allem aber die im UN-System einzigartige Partizipation von Zivilgesellschaft an der Arbeit des Menschenrechtsrates ernsthaft in Gefahr gerät. Es war bemerkenswert, dass meinen diplomatischen Gesprächspartnern in Genf diese Problematik nicht wirklich bewusst war.

Deutlich thematisiert wurde in nahezu allen Gesprächen die wachsende Schwierigkeit für die EU, in Genf mit einer Stimme zu sprechen und entsprechend politisch gewichtig aufzutreten und zu verhandeln. Besonders offensichtlich wird das an der großen Wahrscheinlichkeit, dass sich die EU auch in die nächste Verhandlungsrunde für ein verbindliches UN-Abkommen über Wirtschaft und Menschenrechte nicht substantiell einbringen wird, weil sich die noch-28 nicht auf ein gemeinsames Mandat verständigen können. Dieses traurige Dilemma betrifft auch andere Resolutionen und Statements, die dann entsprechend den allerkleinsten gemeinsamen Nenner dokumentieren.

Der Austritt der USA aus dem Menschenrechtsrat Mitte vergangenen Jahres wurde von den meisten Gesprächspartner*innen zwar politisch bedauert, aber als kein allzu großes Thema angesehen. Ganz praktisch fehlen sie als Verhandlungsführer für einige Resolutionen, aber hier würden meist andere Lösungen gefunden. Deutschland hat angekündigt, erneut für die Mitgliedschaft im Menschenrechtsrat für drei Jahre ab 2020 zu kandidieren. Im Sommer soll die Kandidatur offiziell bekanntgeben werden, überraschende Wahlversprechen („pledges“) sind dafür aber wohl nicht zu erwarten.

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